Wieso heißt die Apotheke "Hirsch-Apotheke"?

Mitten im Ortszentrum von Freienohl befindet sich die Hirsch-Apotheke. Betrieben wird diese Apotheke von Anfang an von der Familie  Leopold. Der derzeitige Inhaber ist Rainer Leopold. Folglich wurde die Apotheke nicht nach dem Hausnamen der Apothekerfamilie benannt.



Weit über 100 Hirsch-Apotheken gibt es in Deutschland. Dabei wussten uralte angemailte Hirsch-Apotheken auch nicht den Grund. Und im „A“ der werbenden Informations-Leuchte „Apotheke“ ist kein Hirsch abgebildet, sondern ein bis zum Rand gefüllter Kelch mit einer elegant sich darüber windenden Schlange. Womit mag dieser Canthàrus – so heißt dieser Kelch – gefüllt sein? Mit einem heilsamen Begrüßungstrunk für die Kunden? Oder gar mit Schlangengift vermischt? Das ist schlimmer als pessimistisch gedacht. Eine eigenartige Wende bietet sich als Lösung an. Für die altgriechischen Götter und Sagenhelden ist die Schlange das Symbol des Lebens. Genau das: Heilung und Leben garantieren ja die Apotheken.
Aber jetzt wieder die Hauptsache: Was hat der Hirsch damit zu tun?

Etwas mit der Kirche gleich nebenan? Da heißt es doch in der Bibel des Alten Testaments im Psalm (41/42,2): „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele nach dir, Gott-Jahweh!“ Nein. Denn wohl die meisten Hirsch-Apotheken befinden sich nicht in unmittelbarer Nähe einer Kirche. Freilich, mit etwas Fantasie gibt es dieses Gedankenspiel-
            
Der Psalm ist ursprünglich auf Hebräisch geschrieben worden. Und das hebräische Wort für Hirsch kann auch in seiner weiblichen Form übersetzt werden und meint dann die Hinde, die Hirschkuh. Die wird als besondere, als unvergleichliche Schönheit wahrgenommen, wie Hygiea, die in altgriechischen Sagen dargestellt wird als Göttin der Gesundheit (Hygiene!), die eine Tochter oder die Gattin – genau weiß man das nicht – des Aeskulap ist. Sie füttert jene Schlange. Und die bedeutet an dieser Stelle: das Leben. Wie das alles zu einander passt? Um Schönheit und Leben Bittende weihten dieser Göttin ihr Haupthaar. Und ein Sohn des Gottes Apollo war jener Aeskulap. Der wurde in der Höhle des weisen Chiron erzogen, unterrichtet in der Kräuterkunde, Heilkunde. Diesem Aeskulap waren heilig die Hähne - auch auf der Freienohler Kirchturmspitze gibt ein Hahn die Richtung an -, die Nachteulen und die Schlangen, dem Symbol des Lebens – und der Schönheit.

Und hier erscheint auch der Hirsch wieder! Denn der Hirsch gilt als „das edelste und schönste unter allen Vierfüßigen“. Der Hirsch ist etwas ganz Besonderes: „Der Hirsch hat Wildbret, kein Fleisch!“ Mit diesem Zitierten folgen schon Informationen aus dem 1773 begonnenen Lexikon „Oekonomische Encyklopädie von Dr. Johann Georg Krünitz“; dieses Werk endet 1858 mit 242 Bänden: www.kruenitz1.uni-trier.de.

Nur eine kleine Auswahl: „Hirsch-Wurz: eine Pflanze, welche auf den Bergen wächst und mit welcher sich der Hirsch, wenn er verwundet ist, reibt, heilen will.“           

Hirsch und Heil „gehören“ zusammen. „Die Hirsch-Tränen oder Hirsch-Zähren werden oft sehr teuer verkauft (1773!), weil sie als eine Herz stärkende, schweißtreibende und allen giftigen und pestilenzinischen Seuchen widerstehende Arznei, insonderheit auch wider die Epilepsie hochgehalten (ist)... Es pflegt aber damit viel Betrug vorzugehen... Flüchtiges Hirschhornsalz, welches man bei hysterischen Krankheiten verwendet...
Wenn man geschmolzenes Hirschmark, so warm man es leiden kann, auf gelähmte Glieder legt, werden dieselben wieder geschmeidig... In Japan sind (1773!) die Hirsche größtenteils ein Gegenstand der Verehrung und man erbaut ihnen Tempel und Altäre,... dass niemand bei Verlust seiner Güter und seines Lebens wagen darf, ihnen Leides zu tun, oder wohl gar eines dieser Tiere zu töten!...“

Nun: mit diesen sagenhaften und nicht sagenhaften Erfahrungen kann die Frage zufrieden stellend beantwortet sein, warum der Hirsch das Kennzeichen, das Merkmal, ja der Beweis auch unserer Hirsch-Apotheke ist. Und gerade Sauerländer wissen, auch wenn sie nicht zur achtbaren Zunft der Jäger gehören, was für ein edles und kostbares Tier der Hirsch ist. Dabei wird heutzutage jedem Kunden gewiss mehr gereicht als der Canthàrus, jener Kelch, gefüllt mit dem Lebenssaft der Göttin Hygiea.

Ein unerwartetes Anhängsel: Indianerm zeichnet den Hirsch aus Sanftmut und Dankbarkeit.

Bericht: Heinrich Pasternak
Fotos: Karl-Heinz Kordel