Tausend Freienohler begruben den Hering 1954 an der Langelbrücke

Jung und alt machte begeistert mit – Karl führte den Zug mit Schlafjacke und Krätzchen

Kurz vor 15 Uhr kamen sie langsam aus den Häusern hervor, die Freienohler. Zum Teil noch in Feiertagskleidern. Aus den Fenstern der Gasthöfe, deren es in Freienohl mindestens doppelt so viel gibt wie in anderen Orten ähnlicher Größe, drang fröhliches Singen auf die Straße hinaus. Kurz nach 15 Uhr drängten sich jung und alt auf dem Schützenplatz, von wo der Abmarsch zum „Heringsbegräbnis" am Dienstag stattfand.

Obwohl man schon darauf wartete, wann endlich die Trommel ertönen und das Zeichen zum Abmarsch gegeben würde, wurde die Geduld der vielen „Sehleute" auf eine lange Probe gestellt. Denn als der Zug sich gerade in Bewegung setzen wollte - das „Begräbnis-Komitee" hatte schon Heringe auf der Brust baumeln - wurde überraschend ein neues Fass Freibier herangerollt. Karl (Lörwald), der in einer Schlafanzugjacke steckte, auf dem Kopf ein Krätzchen und in der Hand eine Bierflasche balancierte, forderte seine Gefolgschaft auf, erst dieses Fass zu leeren, damit der Hering „nicht so trocken zu Grabe kommt".

Diese Aufforderung brauchte Karl nicht zu wiederholen. Seinen mitreißenden Worten konnte sich die ausgelassene Gesellschaft nicht entziehen. Im Nu war das Fass angeschlagen und ließ den schäumenden Gerstensaft in die Gläser und von dort aus durch die noch immer durstigen Kehlen rinnen. In diesem Jahre war man übrigens überhaupt sehr durstig: rund 110 Hektoliter mussten dran glauben!

Knapp eine Stunde später marschierte man dann los, voran August (Schwefer) mit der Trommel, dahinter ein großes Transparent, schließlich vier junge Männer in weißen Anzügen, die auf einer Trage einen großen Hering und Kranz mitführten.


Die Träger, gefolgt von einer
großen Menschenmenge, auf dem Marsch.

Und diesem originellen Zug, wie er in Freienohl seit Jahrzehnten Tradition und aus dem Schützenfest-Programm nicht mehr fort zudenken ist, folgte eine bunte, tausendköpfige Menschenmenge bis zur Langelbrücke an der Ruhr. Lastzug und PKWS auf der Bundesstraße mussten warten, bis der riesige Zug die Straße verlassen hatte. Aber die Fahrer hupten nicht ungeduldig; sie hatten Verständnis für dies Tradition der Vrigenoler und ihre hell Freude an diesen vielen fröhlichen Menschen, die auf der Langelbrücke schon von fast ebenso vielen erwartet wurden.

„6 t" - so zeigte das Schild auf der Brücke an. Es waren am Dienstagnachmittag aber bestimmt mehr als 6 Tonnen, die die Brücke tragen musste. Aber sie schaffte es und ächzte kein bisschen. Man hätte es auch gar nicht gehört; denn als das „Begräbnis-Komitee" und die Träger langsam in die kühlen Fluten der Ruhr stiegen (einige stürzten auch kopfüber ins Wasser) und den Hering in das Flussbett buddelten, kannte der Jubel keine Grenzen. August samt seiner Trommel ging ebenfalls baden, und Karl bis zu den Hüften im Wasser, hielt die (zwerchfell)-erschütternde Ansprache. Unter großem Hallo klang das Heringsbegräbnis aus. In den Gasthöfen aber herrschte noch lange frohe und festliche Stimmung.

Karl, in Schlafanzugjacke und mit dem Kranz über dem Arm, bei der Ansprache; Hier wird der Hering mit der Trage versenkt und eingebuddelt. August, ganz links im Bild mit Zylinder, trommelt dazu.

Mit dem Heringsbegräbnis am Dienstagnachmittag fand das Freienohler Schützenfest im Jahre 1954 seinen letzten Höhepunkt. Eine mehr als tausendköpfige Menschenmenge begleitete das Begräbniskomitee durch den Ort zur Langelbrücke.



Bild- und Literaturnachweis: Westfalenpost, 14. Juli 1954
(Der Zeitungsausschnitt wurde mir freundlicherweise von Herrn Heinrich Pasternak zur Verfügung gestellt)